Luchse waren ursprünglich auch in den Wäldern Baden-Württembergs heimisch und wurden vor rund 200 Jahren ausgerottet. In den vergangenen zwei Jahrzehnten konnten in Baden-Württemberg immer wieder Zuwanderungen von einzelnen männlichen Luchsen nachgewiesen werden. Um die Situation der Luchse im Land und damit auch in den angrenzenden Vorkommen zu verbessern, sollen laut Koalitionsbeschluss Luchse im Land ausgewildert werden. Das auf vier Jahre ausgelegte Projekt wird seit Frühjahr 2023 von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) in enger Kooperation mit dem Landesjagdverband BW, dem WWF und dem Zoo Karlsruhe sowie unter Einbeziehung der AG Luchs und Wolf durchgeführt.
Luchs Baden-Württemberg
Luchskatze Finja © FVA, M. Strein
© FVA Seeger
Erste Luchsauswilderung
Am 01. Dezember 2023 wurde der erste Luchs im Rahmen des Projektes in die freie Wildbahn entlassen. Der Auswilderungsort liegt im Nordschwarzwald im Bereich des Streifgebietes des dort ansässigen männlichen Luchses Toni. Dieser wanderte bereits im Jahr 2019 aus der Schweiz in den Nordschwarzwald, etablierte dort ein Territorium und machte seither zur Paarungszeit ausgedehnte Wanderungen auf der Suche nach einer Partnerin. Mit der zweieinhalbjährigen Katze Finja soll ihm nun eine Partnerin zur Seite gestellt werden.
Finja wurde in einem großräumigen Wildgehege in Thüringen geboren und verbrachte dort ihr erstes Lebensjahr. Nach genetischen und verhaltensökologischen Untersuchungen erfüllt sie alle Voraussetzungen für die Auswilderung im Schwarzwald. Um sie optimal auf die Auswilderung vorzubereiten, wurde sie im Mai 2022 in ein Gehege in Rheinland-Pfalz verbracht. Entsprechend den strengen Vorgaben für die Auswilderung von Gehegetieren lebte sie dort in einem weitläufigen Gehege abseits von Menschen. Kurz vor der Auswilderung wurde ihr Meidungsverhalten gegenüber Menschen erfolgreich überprüft. Finja erfüllt zudem die wichtige genetische Voraussetzung, um als Karpatenluchs wertvolle Gene in die Vorkommen in Baden-Württemberg, der Schweiz und Rheinland-Pfalz einzubringen. Finja wurde vor der Auswilderung mit einem Senderhalsband ausgestattet, um das Bewegungsmuster der Katze im Nordschwarzwald zu dokumentieren.
Update „Finja“
Ein halbes Jahr nach der Auswilderung hatte sich die Katze im Nordschwarzwald gut eingelebt. Sie nutzte ein etwa 150 km² großes Streifgebiet nordöstlich der Murg und erbeutete hauptsächlich Rehe, Hasen und in seltenen Fällen auch Füchse und junges Rotwild. Sowohl ihre Nahrungswahl als auch ihr Raumnutzungsverhalten unterschieden sich erwartungsgemäß nicht von dem in freier Wildbahn aufgewachsener Luchse. Finja galt somit als Pionierin und Wegbereiterin für das baden-württembergische Luchsprojekt und hat die bisherigen positiven Erfahrungen anderer Projekte bestätigt – auch speziell für Auswilderungen gezüchtete Tiere kommen hervorragend in der freien Natur zurecht.
Bei der routinemäßigen Kontrolle eines möglichen Risses war Luchskatze Finja Anfang Juli lebend aber in einem sehr schlechten Gesundheitszustand im Nordschwarzwald aufgefunden worden. Da sich ihr Zustand nach der veterinärmedizinischen Erstversorgung nicht gebessert hatte, musste sie leider eingeschläfert werden. Als Todesursache identifizierten Expertinnen und Experten eine Infektionskrankheit, die in der Natur immer wieder häufig auftritt: Staupe.
Staupe ist eine hochansteckende Viruserkrankung, die in Deutschland natürlicherweise flächendeckend vorkommt und vor allem bei Hunde- und Marderartigen auftritt. Bei Luchsen ist die Erkrankung äußerst selten. Eine Gefahr für das Projekt stellt Staupe grundsätzlich nicht dar. Krankheiten kommen bei Wildtieren immer wieder vor und gehören zur Natur. Auch in Auswilderungsprojekten sind Verluste immer wieder Realität und müssen entsprechend ausgeglichen werden. Weitere Auswilderungen sind bereits in Planung.
Notwendigkeit einer Bestandesstützung
Der Luchs gilt innerhalb Mitteleuropas als stark gefährdet und unterliegt international einem strengen Schutz. Durch aktive Ansiedlungsprojekte haben sich in den letzten Jahren im Jura, in der Nord-Ost-Schweiz, in den Vogesen und im Pfälzerwald Luchsvorkommen angrenzend an Baden-Württemberg etabliert. Diese gelten jedoch aufgrund der geringen Anzahl von Luchsen und einem eingeschränkten Genpool als gefährdet.
Die großen Waldflächen in Baden-Württemberg stellen nachweislich einen idealen Lebensraum für die heimlichen Tiere dar. In den letzten Jahren sind immer wieder einzelne männliche Luchse in Baden-Würrtemberg bestätigt worden. Aufgrund des zurückhaltenden Ausbreitungsverhalten der weiblichen Tiere konnte sich jedoch, trotz der Zuwanderung männlicher Luchse, bisher kein reproduzierendes Luchsvorkommen in Baden-Württemberg etablieren. Ein Luchsvorkommen in Baden-Württemberg würde daher die angrenzenden Vorkommen in Deutschland und Mitteleuropa erheblich stärken.
Weitere Hinweise zum Luchsmonitoring sowie aktuelle Nachweiskarten finden Sie auf der Seite der FVA.
Projektziele
Das Ziel des Projektes ‚Luchs Baden-Württemberg‘ ist es, mittels einer Bestandesstützung ein reproduzierendes Luchsvorkommen im Schwarzwald zu etablieren, welches durch Anbindung an die benachbarten Vorkommen ganz wesentlich zu einer langfristig lebensfähigen Luchs-Metapopulation im Oberrheingebiet beiträgt.
Zudem wird das Erreichen folgender Ziele angestrebt:
- Verbesserung der genetischen und populationsökologischen Stabilität einer Oberrhein-Luchs-Metapopulation
- Schaffen von Akzeptanz und Vertrauen von Personen aus der Jägerschaft und dem Grundbesitz in Bezug auf den Luchs und das Luchsmanagement.
- Verbesserung der Verbundsituation zwischen dem Schwarzwald und angrenzenden Luchslebensräumen.
Die geplante Bestandesstützung umfasst die Auswilderung von sechs bis zehn Tieren, überwiegend Weibchen. Um mögliche Abgänge von ausgewilderten Tieren (Tod, Abwanderung) während des Projektzeitraumes zu berücksichtigen, ist zum Projektstart keine feste Zahl an auszuwildernden Tieren benennbar. Im Laufe des Projektes muss zudem die räumliche Verteilung sowie das Geschlechterverhältnis von vorhandenen oder neu zuwandernden Tieren beachtet werden.
Herkunft der Tiere
Für die Bestandesstützung in Baden-Württemberg sollen überwiegend ein bis zweijährige Luchse genutzt werden, die in speziellen Gehegen geboren und aufgewachsen sind. Die Gehege erfüllen die strengen Vorgaben der Linking Lynx Gruppe für Zucht, Aufzucht und Eignungsprüfung von Luchsen für Ansiedlungsprojekte.
Vor der Auswilderung unterläuft jedes Tier eine intensive Überprüfung hinsichtlich Gesundheit, genetischer Eignung und artgerechtem Verhalten. Ein großer Vorteil gegenüber Wildfängen z.B. aus den Karpaten liegt darin, dass die dortigen Vorkommen nicht beeinträchtigt werden. Zudem können Tiere gezielt ausgewählt werden, die für das zu stützende Vorkommen genetisch besonders wertvoll sind. Erfahrungen aus bereits abgeschlossenen Projekten zeigen, dass sich Luchse aus Gehegenachzucht in der freien Wildbahn in aller Regel bestens zurechtfinden und kein anderes Verhalten zeigen, als in Freiheit geborenen Luchse.
Projektstruktur
Innerhalb des vierjährigen Projektes von 2023 bis 2027 werden folgende Maßnahmenpakete umgesetzt:
- Das Maßnahmenpaket „Technische Vorbereitungen und Auswilderung“ umfasst die Beschaffung der Tiere, deren Aufzucht in speziell dafür ausgewählten Gehegeanlagen und deren spätere Auswilderung.
- Innerhalb des Maßnahmenpakets „Wissenstransfer und Öffentlichkeitsarbeit“ sollen Informationen zum Luchs an die betroffenen Personenkreise und Institutionen durch Infomaterialien und Veranstaltungen übermittelt werden. Zusätzlich sollen für die Öffentlichkeit weitere Luchsinfopoints im Schwarzwald entstehen.
- Im Maßnahmenpaket „NetzwerkpartnerInnen aus der Jägerschaft für Luchsmonitoring, Forschung und Wissenstransfer“ werden JägerInnen aus den Kernlebensräumen des Luchses im Schwarzwald zu speziellen NetzwerkpartnerInnen geschult, mit dem Ziel den Wissenstransfer und die Akzeptanz zu fördern.
- Mit dem Maßnahmenpaket „Monitoring und begleitende Forschung“ wird die Entwicklung des Luchsbestandes mittels eines passiven Monitorings überwacht. Begleitende Telemetrieprojekte in enger Abstimmung mit der Jägerschaft und ein genetisches Monitoring sind ebenfalls Teil dieses Moduls.
- Im Maßnahmenpaket „Lebensraumvernetzung“ werden relevante Verbundachsen identifiziert und analysiert sowie Informationen zielgerichtet aufbereitet. Damit soll eine proaktive Kommunikation für die betroffenen Personen und Institutionen ermöglicht werden.
Projektpartner
Der Landesjagdverband Baden-Württemberg ist wichtiger Kooperationspartner und Multiplikator innerhalb der Jägerschaft und über deren Grenzen bis in die Öffentlichkeit hinaus. Die Jägerschaft spielt u.a. beim Luchsmonitoring, der Erforschung des Luchses und beim Wissenstransfer eine elementare Rolle.
Der WWF Deutschland hat dem Land Baden-Württemberg neben einer finanziellen Unterstützung auch inhaltliche Zuarbeit insbesondere im Bereich Bildungsarbeit zugesagt und übernimmt dadurch ebenfalls als Kooperationspartner substantielle Arbeiten im Projekt.
Der EAZA-Zoo Karlsruhe stellt für die Betreuung der auszuwildernden Tiere im Rahmen einer festzulegenden Kooperation sein Team von Veterinärmedizinern zur Verfügung.
Projektfinanzierung
Das Projekt wird durch eine Mischfinanzierung aus Landesmitteln und Spenden durch den WWF Deutschland, die HIT-Stiftung sowie weitere Partner gefördert.
Kick-off Veranstaltung des MLR zum Luchs in Baden-Württemberg
Auswilderung von Luchsen in Baden-Württemberg beginnt (MLR Videobeitrag vom 03.03.2023)
Pressemitteilung mit Videobeitrag vom 03.03.2023, Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR)
Filmbeiträge zum Luchs
SWR Aktuell - Was macht die Luchsin Finja?
SWR Aktuell zum Luchs in Baden-Württemberg
Sendungsausschnitt des SWR Aktuell Baden-Württemberg vom 03.03.2023 (ab Minute 17:06 bis 21:49). Luchs Toni ist allein im Nordschwarzwald - Weibliche Luchse sollen ausgewildert werden.
SWR - Auf den Spuren von Luchs Lias im Oberen Donautal
Im Naturpark Oberes Donautal tauchen immer wieder Luchse auf. So auch Luchs Lias, der seit zwei Jahren hier heimisch, aber auch sehr menschenscheu ist. Gemeinsam mit dem Luchsbeauftragen Armin Hafner begibt sich Landesschau-Mobil-Reporterin Petra Thaidigsmann in Leibertingen auf Spurensuche.
SWR Film wie Luchs Lias ein neues Halsband bekommt
SWR Rheinland-Pfalz Filmbeitrag - Film zur Wiederansiedlung von Luchsen
FAQs - Luchs und Jagd
Wie groß ist das Revier eines Luchses?
Luchse leben als Einzelgänger in Revieren, in denen sie keine anderen adulten Tiere des gleichen Geschlechts dulden. Die Reviergröße ist abhängig vom Nahrungsangebot und vom Zustand der Population. Im Schweizer Jura sind die Reviere der Kuder knapp 283 km², die der Katzen 185 km² groß. Die in Baden-Württemberg bisher telemetrierten Kuder nutzten Flächen vergleichbarer Größe.
Was fressen Luchse?
Die Hauptbeute des Luchses ist das Rehwild. Andere Beutetiere wie Vögel, Gämsen, Füchse oder Hasen spielen in der Ernährung der Tiere eine untergeordnete Rolle.
Wie viel Schalenwild nutzt ein Luchs pro Jahr?
In einer ausführlichen Untersuchung zur Nahrungsökologie des Luchses im Schweizer Jura wurde ermittelt, dass adulte Luchse auf der Fläche ihres Revieres im Durchschnitt 57 und eine führende Luchsin 72 Stück Schalenwild über den Jahresverlauf erbeuten. In Untersuchungen im Bayrischen Wald und in der Schweiz konnten anhand von Hochrechnungen ermittelt werden, wieviel Stück Schalenwild durch die vorhandenen Luchsvorkommen erbeutet werden. Demzufolge entnimmt ein Luchsvorkommen in unseren Breiten im Durchschnitt 0,6 bis 1,5 Stück Schalenwild im Jahr pro 100 ha Lebensraum.
Wie groß ist der Einfluss des Luchses auf seine Beute?
Bei Luchsdichten, wie sie in unseren Breiten natürlicherweise vorkommen, ist in der Regel kaum ein quantitativer Einfluss auf die Beutetierpopulationen spürbar. Es gibt allerdings auch Konstellationen, die vorübergehend zu höheren Luchsdichten in einer Region führen können. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine Luchsin zu Beginn der Führungszeit ihren Aktionsradius einschränkt. Solche verkleinerten Aktionsräume sind jedoch nicht von langer Dauer, da dies zu einer erhöhten Wachsamkeit der Beutetiere führt, was den Jagderfolg des Luchses zunehmend beeinträchtigt. Luchse sind daher gezwungen, regelmäßig andere Jagdgründe innerhalb ihres Revieres aufzusuchen. Letztlich ist die Komplexität der Faktoren sehr hoch, welche das Jäger-Beute-System beeinflussen.
Ändert sich durch die Rückkehr der Luchse die Bejagbarkeit des Wildes?
Unabhängig von der Frage der quantitativen Beeinflussung treibt die Jägerinnen und Jäger in Baden-Württemberg die Frage um, ob und wie die Bejagbarkeit von Rehen sich durch die Rückkehr des Luchses ändert. Auch dieser qualitative Einfluss ist von Gebiet zu Gebiet sehr unterschiedlich zu bewerten. Dass mit der Rückkehr des Luchses das Wild scheuer und für Jägerinnen und Jäger generell weniger sichtbar ist, hat sich weder im Nationalpark Harz noch im Bayrischen Wald bestätigen lassen. Als Fazit darf die Beeinträchtigung der Jagd durch die Präsenz des Luchses weder über- noch unterschätzt werden.
© FVA Seeger